LERNORT KINO
Potentiale und Perspek-
tiven
Medienkompetenzprojekte im Multimediazeitalter
Seit über einem Jahrhundert begeistern Filme die Generationen. Doch schon vor der Corona-Pandemie wurde öffentlich diskutiert, welche Bedeutung und Relevanz dem Medium Kino in unserer aktuellen digitalen Medienkultur noch zukommt. Die Konkurrenz von Internet, Streamingdiensten sowie die Veralterung des Publikums und sich verändernde Sehgewohnheiten rütteln an der Bedeutung des Ortes Kino als zentraler Ort des Konsums von Filmen. Es stellt sich die Frage, ob die Magie des Kinos, das Abtauchen in dokumentarische, fiktive oder fantastische Welten in einem dunklen Saal, seine Strahlkraft auch in Zukunft bewahrt. Oder führen die veränderten Sehgewohnheiten der jüngeren Generation dazu, dass trotz großer Leinwand und Megasound Filme auf privaten Bildschirmen zu Hause konsumiert werden? Dass es sinnvoll ist, Kino zu bewahren als Teil eines Erlebnis- und Begegnungsraumes für vielfältige Entwicklungsprozesse und Lernerfahrungen, wird im Folgenden erläutert. Zugleich wird verdeutlicht, dass der Lernort Kino Medienbildung und Medienkompetenz fördert.
Die Bedeutung des Kinos als Ort der Transzendenz von Alltag und alltäglicher Lebenswelt und der „Verheißung von Identitätsgewinnen“ (Baacke u.a. 1994, S. 9) war schon zu Beginn des Kinozeitalters in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts erkennbar. Kino war in dieser Zeit vor allem ein Zufluchtsort, um sich den von der Familie, Schulen und Vereinen kontrollierten Freizeitaktivitäten zu entziehen. Daher überrascht es nicht, dass nicht nur die gezeigten Filme, sondern die Atmosphäre, die soziale Situation des Kinos eine Kinodebatte auslöste. Unternehmer, Sittlichkeitsvereine, Sozialreformer und Kommunalbehörden sahen das Kino als „Ort optischer Verdummung und intellektuellen Untergangs“ (Baacke 1995, S. 26). Kritisiert wurden u.a. die Gier nach Spannung und eine Verrohung der Sitten aufgrund der gezeigten Verherrlichung von Gewalt, Verbrechen und Unmoral. Pfemfert (1909, S. 500) stellte die Schädlichkeit des Schundfilms für die kindliche Psyche fest. Nach seiner Auffassung verwüstet das Kino den Geschmack des Volkes, da es die Fantasie vernichtet: „Kino ist der gefährlichste Erzieher des Volkes“. Döblin schrieb von einem „Monstrum von Publikum“, das mit stierem Blick auf die Leinwand schaue. „Phtisische [an Tuberkulose erkrankt, d.Verf.] Kinder atmen flach und schütteln sich leise in ihrem Abendfieber; den übelriechenden Arbeitern treten die Augen fast aus den Höhlen.“ (1909, S. 192). In der Zeitschrift Roland von Berlin war von „Massenverblödung“ und „Afterkunst“ die Rede. Der Kientopp (das Kino) nehme der Kunst den Raum zum Atmen (zit. in: Diederichs 1994, S. 40). Doch nicht nur Literatur und Theater argwöhnten eine kulturelle Zersetzung. Die Sozialdemokratie befürchtete, dass die Dramen auf der Leinwand die Proletarier von den politischen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Klasse entfremden. Das kämpfende Proletariat dürfe sich nicht mit roher „Afterkunst“ abspeisen lassen (ebd., S. 210).
Immer, wenn sich neue Technologien bzw. neue Kommunikationstechniken herausbilden, kommt es zu einer prinzipiellen Infragestellung des jeweils neuen Mediums. Durch Prävention oder Reglementierung soll ein als schädlich angesehener Medienkonsum be- oder verhindert werden. Bewahrpädagogische Überlegungen aus kultur- und geisteswissenschaftlicher Position finden sich bereits bei Platon. Er problematisierte, ob es sinnvoll sei, Jugendlichen den Besuch des Theaters zu erlauben, da es die Gefahr gäbe, dass sie das Theater mit dem Leben verwechseln würden. „Befürchtet wird eine Herabsetzung der Ich-Stärke, ein Nachlassen der Fähigkeit zur Selbstreflexion, zur Analyse aufgrund eines mattgesetzten eigenen bewussten Willens.“ (Baacke u.a. 1994, S. 136). Ein weiterer Aspekt des Bewahrens bezieht sich auf die mutmaßliche Gefahr eines Versinkens in eine medienvermittelte Scheinwelt. Dieser Vorwurf wurde auch an das Medium Buch gerichtet. Die Etablierung der Buchkultur war keineswegs unumstritten. Heftige Polemiken über die „Lesewut“ von Jugendlichen belegen, dass es zu allen Zeiten Bedenken gegenüber dem Gebrauch von neuen Medien gab. „Die Frau, so hieß es, vernachlässige ihre Pflichten und widme sich der Romanlektüre. Dort sauge sie die Vorstellungen von Liebe und Leben ein, die sie gegen die Ermahnungen ihres Gatten immunisiere. So würden Ehen zerstört, die Kindererziehung vernachlässigt, also die Keimzelle des bürgerlichen Lebens zu Fall gebracht.“ (Widmann 2021).
Eine zweite Richtung der Bewahrpädagogik, der präventive Jugendmedienschutz, richtet seinen Blick auf die Inhalte, die in den Filmen (Medien) transportiert werden. Meist sind moralisch-ethische Bedenken die Auslöser für Aktivitäten. Ausgehend von der Hypothese einer möglichen Schädigung durch Medien haben sich unterschiedliche Konzepte herausgebildet. Die von der normativen Pädagogik intendierten Konzepte beabsichtigen, zu einer besseren Medienauswahl zu befähigen. Ausgehend von Filmwirkungsstudien, u.a. von Martin Keilhacker, wurde davon ausgegangen, dass Kinder und Heranwachsende den „Bilderfluten“ und der Manipulationskraft der Medien (Film, Fernsehen) hilflos ausgesetzt seien (Hüther 2002). Diese Richtung möchte die Rezipient*innen zu einer höheren Genuss- und Urteilsfähigkeit erziehen und sie zum „guten“ und „wertvollen“ Medium hinführen. In der Kinoreformbewegung, in der Schulfilmbewegung der 20er Jahre und in den Jugendfilmclubs der 50er Jahre (Vorführung pädagogisch wertvoller Filme) finden sich Beispiele dieser medienpädagogischen Konzeption. Durch die Entlarvung der filmischen Wirkungszusammenhänge soll eine Desillusionierung und eine Immunisierung erreicht werden.
Auffallend ist, dass sich beginnend von den Bildungsidealen der bürgerlichen Erziehung bis in die Kinodebatten Mitte des letzten Jahrhunderts eine Kontinuität der Verunglimpfung visueller Erlebnisse bzw. Erfahrungen aufzeigen lässt. Baacke (1995) vermutet, dass in der pädagogischen Praxis und im pädagogischen Denken Versuche erkennbar sind, jede Art der Sinneserfahrung einzuschränken. Er identifiziert einen „pädagogischen Blick“ (ebd., S. 30), demgemäß das Kind nur das sehen sollte, was die Pädagog*innen zu sehen erlauben. Der gelenkte Blick ist imitativ (eigene Entdeckungen sind nicht erlaubt), kontrolliert (die Pädagog*innen entscheiden, was erblickt werden darf) und homogenisiert (alle sollen das Gleiche sehen). „Dieser ‚pädagogische Blick‘ ist ein Blick, der die Adressat*innen verfehlt, auf die er sich richtet.“ (ebd., S. 32). Diesem undifferenzierten Blick sind die jugendkulturellen Erlebnismuster fremd, deren kulturelle Interessen werden ausgegrenzt und übersehen und diesem Blick entgeht die Bedeutung des Kinos für die Vergemeinschaftung der Gleichaltrigen und als Anregung für die Identitätsbildung der Heranwachsenden. Baacke fordert daher nicht nur einen differenzierten Blick, damit das Sehen von Bildern als Gegenstand eines pädagogischen Auftrags interpretiert werden kann, sondern auch medienkundliches Wissen als Voraussetzung für jede (medien-)pädagogische Einmischung (ebd., S. 33).
Dieser Argumentationslogik folgend wird dann auch nachvollziehbar, dass ein Italo-Western aus Sicht von Königstein (1971, S. 299f), der aus der Perspektive des normativ-traditionellen Maßstabs trivial und tendenziell antiaufklärerisch ist, für Jugendliche gerade wegen der verwendeten Stereotype, Identitätsangebote bietet, da diese Filme deren Realitätslage widerspiegeln. Projektionen und Identifikationen führen dazu, dass die Handlung auf der Leinwand zum Spiegelbild der psychodynamischen Emotionen der Zuschauer*innen wird. „Das Ich wird über den Filmdarsteller fiktiv und psychisch quasi doppelt real und damit eindringlich.“ (Morin 1958, S. 111). Verachtung, Zynismus, die Reduktion der Helden auf Gut und Böse, die Notwendigkeit, sich bei widrigen Bedingungen zu behaupten, sich in schwierigen Lagen durchzusetzen, widerspiegeln jugendliche Alltagserfahrungen. Filme werden bezogen auf den eigenen Erlebnis- und Erfahrungsraum. Filme wirken nach diesem Verständnis nicht linear durch ihre optischen und akustischen Botschaften. Wahrnehmen ist daher nie nur passiv, sondern verbindet aktuelles Sehen mit Vorstellungen, die im Kontext stehen zum Selbst-Konzept und damit zu bedürfnis-, situations- und entwicklungsbezogenen Herausforderungen.
Kino war und ist für Jugendliche im Wesentlichen auch ein Gruppenerlebnis und folgt dem Wunsch nach jugendlicher Geselligkeit und Unterhaltung. Gleichzeitig ist es ein Bestandteil jugendlicher Straßensozialisation (Baacke u.a. 1994, S. 103f). Zugleich werden Kinogewohnheiten auch zu Kristallisationen jugendlicher Fankulturen. Gefühlsinteressen, Stil-Bricolagen und das Bedürfnis nach Gemeinschaft fördern fantypische Ausweichwelten. Entgegen der traditionellen ästhetischen Filmkritik konstruieren Jugendszenen eigene Sinnwelten mit Kultcharakter. Die Entwicklung in den 90er Jahren führten zum Konzept, Kino als Teil eines Freizeitraumes zu nutzen. Damit einher ging eine Wandlung vom Lichtspieltheater zum Freizeit-Erlebnis-Center (Multiplexe). So entstand ein Konsum-Dreiklang von „Shopping.Kino.Essengehen“ (Opaschowski 1993, S. 263).
Unterstützt wird diese Argumentation vom Nutzenansatz (uses- and gratifications-approach), der nicht danach fragt, was die Medien mit den Menschen machen, sondern umgekehrt, was die Menschen mit den Medien machen. Dieser Ansatz, der in der Bundesrepublik erst Ende der 70er Jahre rezipiert wurde, konzentriert sich auf die Frage nach den Interessen und Bedürfnissen, bestimmte Medien und Medieninhalte auszuwählen. In den Medien werden keine einseitigen Verursacher von Einstellungen und Meinungen gesehen. Der Ansatz geht von aktiven Rezipient*innen aus, die die Medien zum Zwecke des persönlichen Nutzens konsumieren. Da es Konkurrenzangebote gibt, wird bereits die Entscheidung für ein Medium als „bewusste“ Interaktion interpretiert. Wesentlich bei diesem Ansatz ist die Überzeugung, dass das gleiche Angebot zu ganz unterschiedlichen Zwecken genutzt werden und somit entsprechend auch unterschiedliche Wirkungen entfalten kann. Die Mediennutzung wird somit in Zusammenhang mit der konkreten Lebenswelt gebracht.
Diese „Wende zum Subjekt“ wurde insbesondere vom rezipient*innenorientierten Ansatz unterstützt. Texte (Filme, Medien) sind nach dessen Verständnis zu den Zuschauer*innen hin geöffnet. Texte stellen lediglich ein semiotisches Potential bereit, das die Zuschauer*innen als Material für das Erlebnis und die Erfahrung benutzen. Es wird von einem spezifischen Eigensinn bei der Aneignung von Medien ausgegangen. Die Wechselwirkung von Kultur und Medien wird nicht als linearer Zusammenhang gesehen, sondern als ‚umkämpfter Zusammenhang‘. Beachtet werden muss nach diesem Verständnis, dass Mediendiskurse immer mehrdeutig (polysem) sind und aufgrund sozial vermittelter, unterschiedlicher sozio-biografischer Erfahrungen unterschiedlich wahrgenommen werden. Prominente Vertreter dieser Position sind Waldemar Vogelgesang und Lothar Mikos. In seiner Untersuchung von Video-Cliquen weist Vogelgesang (1991) nach, dass Action- und Horrorvideos komplex und mehrschichtig angeeignet werden. Mikos (2001) hat sich insbesondere bemüht, die Mehrdimensionalität des Mediums Fernsehen bei den Rezipient*innen zu verdeutlichen. Intendiert ist bei diesem Ansatz ein besseres Verständnis über die Motive der Nutzung von Medien bei den Rezipient*innen. Aber es geht auch um die Förderung des Subjekts, die Wirkungszusammenhänge der Medien kompetenter zu durchschauen. Der Ansatz versteht sich daher keineswegs als unpolitisch. Die Dimension des Politischen verlagert sich jedoch auf die Ebene des Subjekts.
Da Bildbotschaften auch unbewusst wirken können, wie noch ausgeführt wird, ist realistisch von einer Wechselwirkung von Bildwirkung und subjektiver Aneignung auszugehen. Die Filmbilder bieten eine von den Produzent*innen geplante bevorzugte Deutung an. Ob sie auch wahrgenommen wird, steht auch im Kontext der sozialen und biographischen Hintergründe der Rezipient*innen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Medium Film (Kino) vier unterschiedliche Resonanzen auslöst. Reflektiert wurde bisher, das Kino als Erlebnisort und als soziales Ereignis zu sehen. Eine weitere Perspektive bezog sich auf die Debatte möglicher negativer Wirkungen aufgrund der Filmbotschaften. Ebenso wurde die Perspektive der Zuschauer*innen beleuchtet, wobei vor allem subjektorientierte Ansätze vorgestellt wurden. Angedeutet wurde auch, dass eine Wirkung von Filmen auf die Zuschauenden durchaus vorstellbar ist, daher von einer Wechselwirkung von Filmsuggestion und subjektiver Aneignung ausgegangen werden kann.
Aber auch das Medium selbst kann Einfluss nehmen. Dieser Aspekt wird im Folgenden genauer betrachtet.
Jedes Medium begünstigt spezifische Wahrnehmungsdispositive, die die Art und Weise des Denkens und Wahrnehmens prägen. Erlebnisqualität, Teilhabe- und Realitätseindruck werden vom jeweiligen Dispositiv beeinflusst. Ob man ein Buch liest, ein Foto ansieht, einen Film anschaut oder fernsieht: Immer prägt das Medium die Aneignungsweise der Rezipient*innen. Medien formen den Menschen als kulturelles Wesen und nehmen eine kontinuierliche Strukturierung der menschlichen Wahrnehmung vor. Die Entwicklung der technischen und elektronischen Medien prägt unsere (visuelle) Wahrnehmung und verändert unser Informations- und Kommunikationsverhalten.
Der Film kann als Katalysator einer notwendigen Wahrnehmungskompetenz gesehen werden. Film verkörpert eine künstliche Wirklichkeit, die u.a. Erlebnis- und Bildräume anbietet. Der Schnitt verkürzt den Raum, durch die Montage wird gelernt, ursprünglich nicht zusammenhängende Dinge in einen Kontext zu bringen, die mehrfache Wiederholung führt zu einer Befähigung, mit Hilfe von ästhetischen Erfahrungen mit der Beschleunigung der Gesellschaft umzugehen. Der Film befähigt Menschen, in segmentierten Lebensverhältnissen (Enttraditionalisierung, Individualisierung, Entgrenzung) die fehlende Kohärenz durch Montage zu ergänzen. Die ästhetische Antwort auf die demontierten Lebenszusammenhänge ist die Montage von vereinzelten und verstreuten, heteronomen und heterogenen Bildern, die die Basis einer Filmerzählung bilden. Durch die Rezeption von Filmen werden durch implizites Lernen Seh- und Wahrnehmungsweisen erworben, durch die reale Lebensverhältnisse besser bewältigt werden können. Das Kino macht die Menschen dazu fähig, in segmentierten Lebensverhältnissen (Beschleunigung) die fehlende Kohärenz durch Montage zu ergänzen.
Zudem fördert das Medium Prozesse der Identifikation. Beim Film sitzt der Zuschauer in einem dunklen Kinosaal und die Bilder ziehen an ihm vorüber. Während der Körper ruht, ist der Zuschauerblick zentral-perspektivisch auf die Leinwand gerichtet. Die Wahrnehmung ist durch eine fokussierte Beobachtung geprägt. Es dominiert ein Sich-in-das-Bild-versenken. Während sich beim Medium Fernsehen die Augen bewegen, bewegt sich beim Film die Pupille. Die Blicke werden vom Filmtext (Inhalt der Filme) und dem kinematographischen Apparat gelenkt. Die Zuschauer*innen versetzen sich in die Handlung des Films, sie identifizieren sich mit den Protagonisten des Films, folgen der emotionalen Dramaturgie der Regisseur*innen.
Aktuell erleben wir eine Medienkonvergenz: Fernsehen/Film/Video und Internet/Computer verschmelzen miteinander. Die Mensch-Apparate-Anordnung ist beim Anschauen von Filmen im Fernsehen nicht von der Alltagswelt getrennt. Es fehlt im Vergleich zum Film die völlige Dunkelheit des Wahrnehmungsraumes, die Bildfläche ist kleiner und die Bildauflösung geringer, das Licht des Mediums ist direkt auf den Zuschauer gerichtet, die Platzierung des Zuschauers ist im privaten Umfeld und nicht in einem gesellschaftlich definierten Aufführungsraum. Durch die Mobilität des Zuschauers ist die axiale Ausrichtung auf die Bildfläche tendenziell aufgehoben. Fernsehen verlangt keine konzentrierte Betrachtung. Die Konsumhandlung kann auch im Zustand der Zerstreuung stattfinden, sie kann unterbrochen werden. Ähnlich wie Begleitmusik dient sie als Geräusch- und Erlebniskulisse im Lebensalltag. Der Konsum von Filmen in Kinos verliert mit dieser Entwicklung seine Eigenständigkeit und wird Teil eines multimedialen Ensembles. Durch die Fernbedienung gibt es die Möglichkeit, dass Kohärenzbildung und Sinnerzeugung durch die Rezipient*innen beeinflusst werden können. Ein Indiz für diese Entwicklung wird durch das Handy (Smartphone) begünstigt. Second Screen nennen Medienwissenschaftler die simultane Hinwendung zu weiteren Medien dieses Phänomens (z.B. Handy). Differenziert werden kann dabei in Additional Screening und Non-Additional Screening (Wegener 2015. S. 45). Beim Additional Screening nutzt der Rezipient vom Sender zusätzlich erstellte Angebote (Feedback-Kanäle, Social-TV-Kommunikation, Spiele usw.). Oft kommt es aber auch zu simultanen Medienhandlungen durch Aktivitäten in Sozialen Netzwerken, wenn man während des Fernsehkonsums gleichzeitig in einen intensiven Austausch mit den Peers in Chats, auf Foren oder in anderen sozialen Medien involviert ist. Dadurch entsteht eine parallele und/oder neue Form der Rezeption. In der spezifischen Aneignungsform des Second Screening wird das Mediengeschehen mit sozialen Interaktionen im Netz verknüpft. Nur beim Non-Additional Screening entfalten sich Kommunikationsformen, die mittelbar in Verbindung mit dem Medienprodukt selbst stehen. Beim Additional Screening geht es um Beziehungsmanagement, nicht das Medium steht im Zentrum, sondern Impulse für eine gruppenbezogene Selbstvergewisserung, die Bausteine liefern für die Entwicklung sozialer Identität.
Es wandelt sich das Filmerlebnis und damit auch die Wahrnehmungsvorlieben. Streamingdienste verändern im Moment das Nutzungsverhalten einer ganzen Generation. Aktuell verbringen die 14- bis 29-Jährigen laut der Studie „Screens in Motion 2021“ mehr Zeit mit Streamingdiensten (72 % versus 35 %) als mit dem traditionellen Fernsehen (TV-Spielfilm 2021).
Fragmentiert wird die gleiche kulturelle Erfahrung, das gemeinsame Erlebnis, jeder schaut für sich (teils in kleinen Gruppen) zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Serien. Es gibt keine Kollektivierung durch Medienerfahrung, keine große Erzählung mehr (Jean-Francois Lyotard). Eine Zuspitzung dieser Entwicklung findet beim „Binge-Watching“ statt, dem Hintereinanderschauen einer ganzen Serie. In Serien (u.a. Netflix, Amazon Prime, Disney+, Sky) werden keine einzelnen Geschichten in einem zeitlich begrenzten Rahmen erzählt. Geschichten werden nunmehr in sechs oder acht oder viermal acht oder sechzig Teilen erzählt. Es handelt sich um Filme, die nicht aufhören. „Augen-Süßzeug, das dennoch den Hunger nicht stillt, weil jede Folge die nächste aufruft und die Auflösung, siehe „Game of Thrones“, nie befriedigen kann.“ (Kilb 2021). Gleichzeitig wissen die Plattformen, was, wann und wie lange geschaut wird. Die Nutzer*innenzentrierung gewährleistet alles zu wissen, dies wird dann immer wieder risikolos nachproduziert. „Verschwunden ist aber unsere Neugier auf das Neue und die Ambiguitätstoleranz, die Fähigkeit, sich auf das nicht sofort erkennbar Interessante einzulassen.“ (Kaspar 2019).
Verloren geht die Geschlossenheit der Form eines Spielfilms und damit auch die Ökonomie des Erzählens. Wenn es nötig ist, in einem Zeitfenster von ca. zwei Stunden alles Wichtige zu sagen, bedarf es eines dramaturgischen Korsetts, eines konzentrierten Blickes und der Fähigkeit, mit geraffter Zeit umzugehen. Es gibt auch eine erzählerische Moral des Weglassens. Seit Jahrhunderten verfügen Geschichten über einen Anfang und ein Ende. Das verdichtete filmische Erzählen löst sich auf und fließt in die Breite und wird in den Worten von Andreas Kilb zum „bebilderten Wälzer“ (Kilb 2021).
Trotz der Erfolge der Streamingdienste konnten die Kinos ihren Umsatz steigern, im Vergleich zu 2018 gab es 2019 eine Steigerung von 14 %. Wenn die Pandemie diese Entwicklung nicht gestoppt hätte, wäre 2020 eine Steigerung von 20 % möglich gewesen (Balzter 2021). Bezogen auf die Zukunft ist es allerdings problematisch, dass wegen der Pandemie einige Kinos an guten Standorten (z.B. Berger Kino in Frankfurt, das Colosseum in Berlin-Prenzlauer Berg) schließen mussten (Balzter 2021). Aber auch aus anderen Gründen ist es sinnvoll, trotz oder gerade wegen der sich wandelnden Filmrezeptionskultur den Erlebnis- und Erfahrungsraum Kino zu bewahren. Das verdeutlicht ein Blick auf die Subtexte sowie die mythische Narration, die eine Vielzahl von Filmen prägen, da sie dazu beitragen, die Herausforderungen im Verlauf des Lebens zu bewältigen.
Die Wurzeln der Magie liegen in dem Wunsch von Naturvölkern nach Kontrolle und unmittelbarer menschlicher Manipulation der Naturkräfte bzw. der aktuellen Lebensbedingungen. Bei Geschichtenerzählern hatte und hat Magie daher eine zentrale Bedeutung, da ihr nach ihren Vorstellungen eine eigenständig wirkende Kraft innenwohnt. Während sich das magische Denken mit übernatürlichen Phänomenen auseinandersetzt, vermittelt der Mythos Anschauungen von fundamentaler Bedeutung für die jeweilige Gesellschaft. In Mythen werden Fragen nach dem Ursprung der Menschheit und dem Ursprung der Welt thematisiert, die über Geschichten an den Nachwuchs weitergegeben werden. Bereits kleine Kinder adaptieren die Kulturgeschichte der jeweiligen Lebensgemeinschaft über das Hören, Adaptieren und Gestalten von Geschichten.
Während Magie und Mythos auf phylogenetische Bezüge verweisen (kollektive Identität), lässt sich auch die ontogenetische Verortung als Ursprung für den Bedarf und den Erfolg von Geschichten identifizieren. Das inhaltliche Substrat von Geschichten besteht auch aus der Bewältigung von Entwicklungsprozessen. Der Psychoanalytiker Erik Erikson (1966, S. 56f) geht von acht psychosozialen Entwicklungskrisen bzw. -aufgaben aus, die durch äußere und innere Konflikte ausgelöst werden und die von jedem Menschen im Laufe seines Lebens bearbeitet werden müssen. Thematisiert werden die Beziehungen und Interaktionen des Kindes mit seiner sozialen Umwelt. Das Kind habe im Verlauf seiner psychosozialen Entwicklung acht Spannungsfelder zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen der sozialen Umwelt zu bewältigen: Ur-Vertrauen versus Ur-Misstrauen, Autonomie versus Scham und Zweifel, Initiative versus Schuldgefühl, Werksinn versus Minderwertigkeitsgefühl, Intimität und Solidarität versus Isolation, Generativität versus Stagnation, Ich-Integrität versus Verzweiflung.
Wenn auch Eriksons Stufenmodell in der Kritik steht, zu statisch und zu sehr an dem Verhalten der bürgerlichen Mittelschicht orientiert zu sein, macht Erikson auf wichtige notwendige Erfahrungen aufmerksam, die in den verschiedenen Lebensphasen zu bewältigen sind. In Spielfilmen sind viele dieser Entwicklungsaufgaben als Narration verdichtet. Filme finden dann besonderes Interesse, wenn eine Thematik (Entwicklungsaufgabe) angesprochen ist, die noch nicht „bewältigt“ wurde oder emotionale Erinnerungen damit verbunden sind.
In vergleichbarer Richtung argumentiert Barthelmes (2002), der bei seiner Längsschnittuntersuchung über das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen die Bewältigung des Alltags als zentrales Thema identifizierte. Jugendliche suchen in den Medien nach ihren Themen und die jeweils favorisierten Medienthemen stehen im Kontext zu aktuellen Entwicklungsaufgaben. Erzählte Medieninhalte informieren meist auch über Geschichten aus dem eigenen Leben. „Das Drehbuch der Mediengeschichten entspricht der Dramaturgie der Adoleszenz.“ (ebd., S. 28). Im Umgang mit Medien verweist er auf eine mythisch-lebenssituative Korrespondenz. Spielfilme, wie auch andere Medienprodukte enthalten Mythen als Spiegelung gelebter Wirklichkeit (Röll 1998). Er verweist auf das wiederkehrende Strukturprinzip Trennung – Initiation – Rückkehr, das zugleich den Lebensprozess und vor allem die Zeit des inneren und äußeren Wachsens in der Adoleszenz beinhaltet. Der Hintergrund dieser Symbiose zwischen Adoleszenz und Spielfilm steht im Zusammenhang der zunehmenden Nutzung von mythischem Material in den Mediengeschichten, die sich auf gemeinsame Struktur und verbindende Erzählmuster bezieht, die sogenannte „Heldenreise“, die Campbell (1978) als „Monomythos“ bezeichnet.
Der Erfolg der modernen Unterhaltungsindustrie ist ohne den gezielten Einsatz von Mythen nicht möglich. Während bis in die zweite Hälfte der 70er Jahre die Erzählmuster der Märchen und Heldensagen, die mythogenen Stoffe, eher unbewusst benutzt wurden, setzten danach diejenigen Regisseure Trends, die von der Bedeutung mythischer Themen wussten. Da die Motive der Heldenreise dem universellen kollektiven Unbewussten entspringen und damit universelle Befindlichkeiten widerspiegeln, können sie von allen Menschen empfunden werden. Mit Hilfe der Story überprüfen wir unsere Vorstellung und Empfindungen über bestimmte menschliche Eigenschaften. Ausgehend von Joseph Campbells Forschungen entwickelten Keith Cunningham und Thomas Schlesinger eine eigenständige Drehbuchlehre, die inzwischen als Handwerkszeug von erfolgreichen Hollywoodautoren eingesetzt wird. Das Erfolgsrezept der mythischen Reise beinhaltet 12 Stationen (Vogler 1998).
Die Geschichte beginnt mit der Darstellung der gewohnten Umgebung des Helden (1. Gewöhnliche Welt). In der gewöhnlichen Welt sind bereits die künftigen Spannungen und Herausforderungen zu finden. Die Probleme und Konflikte des Helden warten darauf, aktiviert zu werden. Es tritt eine Störung ein oder ein Konflikt entsteht. Daraufhin wird ein Held (Erlöser) gesucht (2. Berufung). Der Held steht vor der Herausforderung, sich auf das Abenteuer einzulassen. Das Ziel des Helden wird deutlich. Er muss eine Herausforderung bestehen, sein Leben ändern, einen Schatz finden, einen Traum verwirklichen, Unrecht aus der Welt schaffen, einzelne Personen oder eine Gruppe aus einer Zwangslage befreien, die lokale oder die universelle Ordnung, die aus dem Lot ist, wiederherstellen. Meist zögert der Held, die Schwelle zum Abenteuer wirklich zu übertreten. Der Held weigert sich (3. Weigerung), er muss erst seine Ängste überwinden. Es bedarf eines zusätzlichen Motivs, wie z.B. das Eintreten neuer Umstände, ein weiteres Vergehen, die Ermutigung durch den Mentor, den Tod oder die Entführung eines Freundes oder eines Verwandten. Bevor der Held aufbricht zu seinem Abenteuer, holt er sich Rat. Meist wird die Quelle verkörpert durch einen Mentor (4. Begegnung mit dem Mentor). Der Mentor steht für die Quelle der Weisheit. Er bringt die allgemeine Erfahrung zum Ausdruck, dass wir jemanden brauchen, von dem wir Lektionen über das Leben lernen. Der Held übertritt nunmehr eine Schwelle (5. Übertreten der Schwelle), dabei begegnet er den Schwellenwächtern. Die Schwelle zeigt die Grenze zwischen der alten und der neuen Welt. Sie wird versinnbildlicht durch Türen, Tore, Durchgänge, Bögen, Wüsten, Schluchten, Mauern, Klippen, Meere und Flüsse. Hier beginnt das eigentliche Abenteuer. An diesem Punkt hat der Held seine Angst überwunden. Er hat sich entschlossen, zu handeln. Der erste Eindruck der neuen Welt steht im scharfen Kontrast zur gewöhnlichen Welt. Der Held muss Proben bestehen. Dabei handelt es sich um die Fortführung der Ausbildung durch den Mentor. Der Held macht sich Feinde. Der Feind tritt ihm als Schatten, Schwellenhüter oder als Trickster gegenüber. Der Held gewinnt aber auch Verbündete und findet Unterstützung bei Freunden (6. Prüfungen, Feinde und Verbündete). Der gefährlichste Ort für den Helden (geheimste Höhle) ist oft im Untergrund verborgen (Hauptquartier des Feindes, Reich der Toten). Dort befindet sich das Ziel seiner Wünsche. Dabei wird die zweite wichtige Schwelle übertreten (7. Annäherung an den heiligen Bereich der Erkenntnis). Es kommt zu Konflikten und Kämpfen als Ausdruck des inneren Kampfes. Hier kommt es zu einer Konfrontation mit dem Tod (allergrößte Gefahr). Der Held stirbt (scheinbar) und wird im wörtlichen und symbolischen Sinne wiedergeboren (8. Äußerste Prüfung – Tod und Wiedergeburt). Er hat die wichtigste Probe überstanden. Die begrenzten bisherigen Vorstellungen und damit auch das Ego sterben und an die Stelle tritt ein neues Bewusstsein der Allverbundenheit (Apotheosis). Aus dem Überstehen tödlicher Gefahren entstehen neue Kräfte und neue Fähigkeiten. Der Held gewinnt neue Erkenntnisse, er wird in ein Mysterium eingeweiht. Es kommt zu einer Initiation – Aufstieg zu einem höheren Rang (Bewusstsein). Der Held erkennt, wer er eigentlich ist und nimmt seinen Platz in der Ordnung der Dinge wahr (9. Belohnung und Elixier).
Der Held erlebt die Konsequenzen aus einer Begegnung mit den dunklen Mächten (Verfolgungsszenen). Die Reise des Helden entspricht einer Kreisbewegung. Obwohl die andere Welt eine magische Anziehungskraft besitzt, entscheidet sich der Held in der Regel, zurückzukehren. Oft bedarf es eines Anstoßes, um wieder zum Licht zu gelangen (10. Rückkehr). Ehe er in die gewöhnliche Welt zurückkehrt, muss er sich einer allerletzten Prüfung, seiner Auferstehung stellen. Das Geschehen um Sterben und Wiedergeburt wird wiederholt. Die Mächte des Todes holen noch einmal zu einem letzten Schlag aus. Es handelt sich daher um eine Abschlussprüfung nach dem Erlebnis von Tod und Wiedergeburt. Es kommt zu einem abschließenden Kampf (11. Abschlussprüfung). Jetzt kehrt der Held in die gewöhnliche Welt mit seinem neu erworbenen Wissen (mit dem Elixier) zurück (12. Rückkehr). Er wird die neue Erkenntnis an die Gemeinschaft weitergegeben.
Wenn auch die Reihenfolge bei vielen erfolgreichen Spielfilmen variiert wird, ist es gleichwohl verblüffend, wie in Filmen diese zwölf Handlungsmuster immer wieder Verwendung finden. Deutlich ist in diesem Monomythos auch der christliche Mythos erkennbar. Beim monomythischen Film handelt sich daher vor allem um ein erfolgreiches Erzählmuster in patriarchalischen Kulturen. Seit Mitte der 80er Jahre lässt sich beobachten, dass durch Videoclip und Werbung der Monomythos der Heldenreise seine Dominanz verloren hat. Bei modernen Genres gibt es zwar auch noch christliche Mythen, sie konkurrieren aber mit anderen Mythen (u.a. Animismus, Schamanismus) um die Aufmerksamkeit des Publikums (Röll 1989). Nur beim Spielfilm lässt sich bei einer Vielzahl von erfolgreichen Filmen weiterhin die monomythische Struktur identifizieren.
Weder die monomythische Dramaturgie, noch andere symbolische Botschaften sind für die Mehrzahl der Kinobesucher bewusst decodierbar. Auch soziale und politische Botschaften können durch das Arrangement, Gestaltungs- und Manipulationstechniken für die Rezipient*innen unkenntlich gemacht werden. In der Regel achten die Zuschauenden auf die Narration, die erzählte Geschichte und nicht auf die Intentionen der Regie und der Produzent*innen. Filme sind keine Abbildung der Wirklichkeit, sie repräsentieren eine intentionale Botschaft. Da diese Botschaft oft symbolisch vermittelt wird, hat sich in der Medienwissenschaft der Begriff „Subtext“ eingebürgert. „Mit dem Begriff des Subtextes sind im Grunde alle Zeichenstrukturen gemeint, die ein (nicht analysierender) Zuschauer nicht bewusst wahrnimmt, die ihn aber gleichwohl in seiner Rezeption steuern.“ (Schreckenberg 1994, S. 40). Ob die Rezipient*innen die Subtexte bzw. latenten Filmtexte entdecken, ist offen. Die Subtexte werden subjektiv angeeignet. Subtexte können auf den bewussten und/oder unbewussten Wahrnehmungsprozess einwirken. Umstritten ist, ob diese Subtexte auch wirken, wenn sie unentdeckt bleiben. Die Mythenforschung (Campbell 1978) hat keine Zweifel. Rolf Haubl, ein Schüler der interaktionstheoretisch-psychoanalytischen Schule, ist ebenfalls der Überzeugung, dass sich Symbole auf die Rezeption auswirken (1994, S. 9). Er geht von einer „projektiven Identifizierung“ zwischen Produzent und Rezipient aus. Das Werk eines Produzenten entspricht einem unbewussten „Entwurf der Rolle eines psychodynamisch passenden Interaktionspartners.“ (ebd.). Mehr oder weniger unbewusst kommunizieren die Produzent*innen manifeste und latente Inhalte eines Textes, indem eine bestimmte Rolle projiziert wird, mit der die Rezipient*innen sich identifizieren sollen. „Die Induktion der Projektion bedient sich aller verfügbaren visuellen und sprachlichen Mittel.“ (ebd., S. 10).
Es besteht allerdings die Gefahr eines deterministischen Bild-Immanentismus. Ethnographische Studien belegen, dass der Rezipient bei der Decodierung eines Filmes als Mitproduzent beteiligt ist. Rainer Winter (1995) macht in seiner Analyse über Fankulturen von Horrorfilmen deutlich, dass der Zuschauer mit medialen Texten produktiv umgeht. Im persönlichen Gebrauch machen die Rezipient*innen die medialen Texte „passend“. Die Medienaneignung umfasst sowohl den Prozess des Gebrauchs als auch den der Interpretation. „Der Sinn symbolischer Formen ist nicht feststehend und ihnen inhärent, sondern hängt von der oft heterogenen Aneignung durch die Zuschauer ab.“ (ebd., S. 220). Entscheidend bei der Konstruktion der jeweils eigenen Bedeutung ist demgemäß das kulturelle Milieu, dem die Betrachter*innen angehören. Nicht die Autor*innen, sondern die Zuschauer*innen bestimmen die Interpretation eines medialen Textes.
Winters Argument, populäre Texte seien nie fixiert und geschlossen, enthielten immer ein Potential von Bedeutungen, ist zunächst zuzustimmen. Winter unterschätzt jedoch auf der anderen Seite die Möglichkeit vor- bzw. unbewusster Wirkungen. Alle Rezipient*innen, auch die „produktiven Zuschauer*innen“, empfangen unbewusste Botschaften, deren Wirkung sich einer von Winter vorgeschlagenen ethnographischen Analyse entzieht. Teile der mehrdeutigen Medienbotschaften unterlaufen das bewusste Rezeptionsvermögen und bilden die mögliche Basis von Verhaltenssteuerungen. Dies hängt allerdings von unterschiedlichen individuellen und soziokulturellen Faktoren ab. Das jeweilige lebensgeschichtliche Identitätsthema bestimmt, ob die „Projektion“ übernommen oder verweigert wird (Haubl 1994, S. 10). Durch das Streben, das eigene Selbstbild (Weltbild) zu bestätigen oder nicht erschüttern zu lassen, setzen die Rezipient*innen Abwehrmechanismen ein, die ihre Bild-Text-Wahrnehmungen steuern. Somit wird die Mehrdeutigkeit der Bilder und Texte reduziert. Die Strategie der Produzent*innen wiederum sucht nach Mitteln, die Rezeptionswiderstände außer Kraft zu setzen.
Die Förderung der Wahrnehmungsbildung kann helfen, diese Wirkmechanismen zu identifizieren und zu decodieren, aber zugleich kann sie zu einem höheren Genuss beitragen. Aus diesen Gründen sind medienpädagogische Impulse förderlich.
Bei medienpädagogischen Projekten können folgende Einstiegsfragen hilfreich sein: Welche Vorbilder, Identifikationsfiguren, Charaktere fördern die Identifikation? Was hat beeindruckt, welche Szenen haben Emotionen ausgelöst, welche persönliche Erinnerungen wurden ausgelöst? Beziehen sich die Erinnerungen auf private, gesellschaftliche oder mediale Erfahrungen (Intertextualität)?Sind gestalterische Aspekte aufgefallen, wird Bildkomposition erkannt, werden ästhetische Gestaltungsmittel registriert? Wird über die Intention der Regisseur*innen nachgedacht, wird das Dramaturgiekonzept, der Inhalt oder die Gestaltung reflektiert, werden symbolische Botschaften identifiziert, werden Montagen als intentionale Gestaltungsmerkmale wahrgenommen? Wird bei den Filmen die Stimmung identifiziert, die durch die Musik erzeugt wird?
Hilfreich ist es, eigene Filmaufnahmen zu machen. Durch die aktive Beschäftigung mit der Ästhetisierung von Wirklichkeit kann intensiver nachvollzogen werden, wie durch die Führung der Kamera, die Lichtstimmung, das Gezeigte bzw. das Nichtgezeigte, die Zuschauer*innenblicke „geführt“ werden können. Ausgehend von diesen ästhetischen Annäherungen können bei dem jeweiligen Bildungsprozess dann die bei den visuellen Recherchen gewonnenen Erfahrungen in Bezug gesetzt werden zur Kritik von Spielfilmen. Die Auswertung gibt eine erste Ahnung, dass Bilder bzw. Medienprodukte nicht nur dokumentarische Abbilder von Objekten sind. Es wird sinnlich erfahrbar, dass sie Medienprodukte bewusst gestaltete oder unbewusste Subtexte, d.h. verschlüsselte Botschaften enthalten.
Bei einer weiteren Methode wird von Beginn an der Lernprozess visualisiert. Die Teilnehmer*innen werden gebeten, Filmausschnitte aus dem Internet oder anderen Medien auszuwählen und zu zeigen. Dieses Konzept basiert auf der Hypothese, dass bei jeder Entscheidung über visuelle Gestaltung (aktuelle) Gefühlsebenen angesprochen werden. Die Berichte über die ausgewählten Filmausschnitte sind gleichzeitig eine Aussage über die jeweiligen Wahrnehmungswelten, sie repräsentieren (symbolisieren) persönliche Überzeugungen. Das Gespräch über die Bildwelten schafft Distanz zu persönlichen Meinungen der jeweiligen Personen und eröffnet gleichzeitig eine persönliche und ungezwungene Gesprächsatmosphäre. Die Teilnehmer*innen erfahren darüber hinaus, dass die Seminare hilfreich sein können, mehr oder anderes über das eigene Sehen zu erfahren. Die Auswertungen tragen dazu bei, Prozesse des „inneren Sehens“ bewusst zu machen. Mit „innerem Sehen“ ist auch die Fähigkeit gemeint, den symbolischen Code eines Abbildes (Filmaufnahme) zu erkennen und in Bezug zu sich selbst zu setzen.
Dazu bedarf es neben der Kenntnis über die Wirkung von Bildgestaltung (Perspektive, struktureller Bildaufbau, Wirkung von Licht und Farbe) auch Erfahrung, wie mit der Montage der Bilder Wirkung erzielt werden kann. Durch die Erfahrung der Montage kann erlebt werden, wie über den Zusammenprall von unterschiedlichen Bildmotiven Bedeutungen bzw. Sinn(-bilder) generiert werden. Die Montage ist der eigentliche schöpferische Moment bei der Filmproduktion. Hier wird filmische Wirklichkeit konstruiert. Die Montage enthält Potentiale, in uns Gefühle, Bedeutungen und Gedanken zu assoziieren, „die in uns anschaulich werden, ohne selber sichtbar zu sein.“ (Balázs 1984, S. 86). Die Montage stellt das stärkste Kompositionsmittel für die Verwirklichung des Filmsujets dar. Durch die Montage können innere und verborgene Zusammenhänge von realen Erscheinungen in einen sichtbaren Kontext verwandelt werden. Montage bedeutet das „Aufdecken und Aufklären von Zusammenhängen zwischen Erscheinungen des realen Lebens in Filmkunstwerken.“ (Pudowkin 1984, S. 81). Dabei geht es sowohl um das Wahrnehmen eines Filmes als auch um das Verstehen und Erkennen bei der Produktion von Filmen. Schnitte und Überblendungen haben die Aufgabe, bei den Zuschauer*innen beabsichtigte Wirkungen zu erzielen. Sowohl mit Hilfe des Konzeptes des Zusammenpralls (Eisenstein) als auch dem der Verknüpfung (Pudowkin) können über Bildnachbarschaften innere Zusammenhänge verdeutlicht werden, da die jeweiligen Bilder vor und nach dem Bild in einem unmittelbaren organischen Bezug miteinander stehen. Mit Montagetechniken können somit Erkenntnisse, Folgerungen und Wertungen induziert werden. Balázs spricht von der „Montagesuggestion“ (Balázs 1984, S. 87). Die Kunst der Montage liegt nun darin, dass die in uns ausgelösten Bilder keine Gedanken abbilden, sondern Gedanken in uns evozieren. Die Gedanken entstehen als Folgerungen.
Ebenso kann die Kompetenz der subtextualen Wirkung von Filmen gefördert werden, wenn die Bedeutung der Musik bzw. des Tons im Spielfilm analysiert wird (Keller 2005). Die Musik vermittelt einen Unterton zum Geschehen, wirkt wie ein Kommentar. Die Musik wird eingesetzt, um dem filmischen Geschehen emotionale Aspekte hinzufügen. Nicht erst seit Richard Wagner ist bekannt, dass Musik das beste Vehikel für Gefühle und Empfindungen ist. Bei Wagner, der sein Orchester im Graben verschwinden ließ, damit das Publikum visuell nicht abgelenkt wurde, hatte die Musik die Funktion, unterschwellig dem Handlungsgeschehen auf der Bühne eine dramaturgisch bedeutsame Ergänzung beizugeben. Weitere Mittel, wie das Leitmotiv und das Wechselspiel zwischen Musik und Dialog, sind von Wagners Nachfahren längst in den Kanon der Filmmusik integriert worden. Damals wie heute zielt das Leitmotiv auf das affektive Gedächtnis der Zuschauer. Trotz der gesteigerten Bedeutung, die Filmmusik erfahren hat, sind sich die meisten Zuschauer*innen kaum bewusst, welche zentrale Bedeutung die Musik hat. Die Musik schlägt eine Brücke zwischen dem eher nüchtern beobachtenden, objektivierenden Auge und dem emotionalen Anspruch der Handlung. Anhand von Bildbeispielen kann demonstriert werden, wie mittels Musik Atmosphäre, Raumgefühl, Zeitempfinden und epische Bezüge hergestellt werden, wie Bilder integriert, Emotionen abgebildet, das Publikum kollektiviert und psychophysisch konditioniert wird.
Um den Genuss und die Faszination im Kino zu steigern, aber zugleich auch die Befähigung, bewusste und unbewusste Filmbotschaften zu erkennen, bedarf es vor allem der Schulung der Wahrnehmungsbildung, wie Baacke bereits 1995 postuliert hat. „Das Kino ist pädagogisch unaufgebbar, weil es Wahrnehmungsbildung eben im obigen Sinn ermöglicht und nicht erschwert.“ (Baacke 1995, S. 47).
Neben der Förderung der Wahrnehmungsbildung und der Unterstützung bei der Suche nach der Stabilisierung und Entfaltung des Selbst sowie der Bewältigung von Entwicklungsphasen (lebensbegleitende Funktion) war und ist der Film und damit auch das Kino auch ein Ort des politischen Lernens. Der politischen Bildung geht es vor allem um den mündigen Staatsbürger. Jugendliche sollen befähigt werden, eine distanzierte Reflexion und Analyse von Gesellschaft und Politik zu leisten. Sie sollen dafür zwischen Wertungen, Tatsachen und Deutungen unterscheiden lernen. Durch individuelle Urteils- und Handlungsfähigkeit soll Mitsprache und Partizipation erreicht werden. Personale Entfaltung und damit Selbstbestimmung vermischen sich im idealen Fall mit sozialer Verantwortung. Dieser Anspruch der politischen Bildung hat weiterhin seine Berechtigung. Sprachlicher Diskurs als grundlegende Vermittlungsform genügt allerdings schon lange nicht mehr, um diese Ideale umzusetzen.
Jugendliche wachsen heute in einer expandierenden visuellen Kultur auf. Die neuen Kommunikationstechnologien haben den Trend zur Visualisierung verstärkt. Die Vorstellungen von Wirklichkeit sind bei Jugendlichen vor allem durch audiovisuelle Vorbilder geprägt. Immer mehr Jugendliche erleben das Verständnis von Zusammenhängen erst dann, wenn eine konkrete Situation, ein Bezug zu Alltagserfahrungen oder erlebbare Details und somit sinnlich-ästhetische Erfahrung den Ausgangspunkt für den Lernprozess bilden. Filme dienen dabei, wie bereits ausgeführt, nicht nur als Informationsquellen oder zu Unterhaltungszwecken, sondern auch als Vorbild und Modell für Lebensstil und Identität. „Das Bild gewinnt an gesellschaftlicher Relevanz, indem es in den sozialen Raum eindringt und diesen mitgestaltet.“ (Scheibel 2002, S. 273). In Folge dieser Entwicklung wird das Verstehen (kognitiver Ansatz) als bisherige dominante Denkweise durch das Begreifen (symbolhaft-assoziativer Ansatz) als Denkweise in Frage gestellt. Begreifen und Erkennen werden die Erkenntnis leitenden Methoden, neue Dinge aufzunehmen. Eine ästhetische Sensibilität und Medienbildung erhalten damit eine immer größere Bedeutung.
Während die diskursive Logik die rationale Beurteilung, Reflexion und Auseinandersetzung mit den konkreten Lebensbedingungen eröffnet, kann der ästhetische Lernprozess Dimensionen des Vor- und Unbewussten enthüllen. Beabsichtigt ist dabei, über die Deskription des Vorhandenen hinauszukommen, sowohl sich selbst als auch die Strukturen der Lebenswelt besser verstehen zu lernen. Die aktuelle Lebenserfahrung soll unter einem neuen Gesichtspunkt, mit einem anderen Standpunkt rekonstruiert, die Stabilität des Selbst gestärkt und die sinnliche Kraft gemeinschaftlichen Lernens erfahren werden.
Die traditionellen Konzepte der politischen Bildung setzen das reflektierende Lernen, den Dialog bzw. den Diskurs, somit sprachliche oder textliche Ausdrucksformen ein, um über gesellschaftliche Problembereiche aufzuklären bzw. Reflexionsprozesse anzuregen. Im Zeitalter der digitalen Lebenswelt mit ihren komplexen Massenmedien bedarf es heute der Befähigung (audio-)visuelle Botschaften zu erkennen bzw. sie zu nutzen. Daher bedeutet politische Bildung immer auch Medienbildung.
Die intensive Nutzung von Bilder-Codes in der Politik (Röll 2003) und auch von denen, die unsere Gesellschaftsordnung in Frage stellen (z.B. Salafisten, Identitäre Bewegung), verweisen auf ihr Potential als Instrument der Beeinflussung. Filme können aber auch dazu beitragen, bisher fixierte Auffassungen und Meinungen aufzubrechen (Homophobie, Gendergerechtigkeit, Ausländerfeindlichkeit). Sie können im doppelten Sinne der Bedeutung „bewegen“ und damit Anlass geben, sich neue „Perspektiven“ anzueignen. Sie bieten zugleich einen Raum, der aktiv gestaltet werden kann und damit zur Selbstreflexion anregt. Sie helfen einen persönlichen Selbstausdruck zu finden und können interpersonale Kommunikation auslösen.
Die Kenntnis ästhetischer Formensprache und deren Ausdrucks- und Wirkungsmöglichkeiten befähigt nicht nur zur komplexeren Wahrnehmungsfähigkeit, der Entzifferung von Zeichensystemen, sondern auch zur kommunikativen Kompetenz, einer wesentlichen Ausgangsbedingung für eine emanzipatorische und aufklärerische Kommunikationskultur. Cineastische Bildung als Analyse- und Erkenntnisinstrument (Erkennen von deren Ausdrucksfunktionen und das Beurteilen ihres Symbolcharakters) erhält eine Schlüsselfunktion bei der Interpretation und Identifikation des aktuellen Verständnisses von sozialer und politischer Wirklichkeit. Sie ist in der Lage, neben ihrer Relevanz für die Decodierung von subjektiven Weltbildern und der Befähigung zur bildhaften Kommunikation, für wahrnehmbare Veränderungen der Gesellschaft zu sensibilisieren.
Cineastische bzw. ästhetische Erfahrungen haben das Potential, Vorstellungen und Überzeugungen zu transformieren. Wer sich selbst als veränderbare und nicht statische Dimension erfährt, erlebt auch die soziale Umgebung als transformierbaren Raum. Wer gelernt hat mit ästhetischen Mitteln in ‚Lebensräume‘ einzugreifen, hat gute Chancen, diese Erfahrungen auf den Lebensalltag zu übertragen. Leben wird unter diesen Prämissen dann als Entwurf, als Projekt verstanden, da beim ästhetischen Lernen Ressourcen aktualisiert werden.
Mit Web 2.0 (Etablierung der Sozialen Netzwerke) verändert sich, wie bereits am Beispiel des Second Screening hingewiesen, die Art und Weise wie Filme (Medien) angeeignet werden. Bei fast allen Aktivitäten ist die Konzentration der Zuschauer*innen gefordert. Das Interface Computer/Smartphone vermittelt eine im Vergleich zum Medium Film veränderte sinnliche Ästhetik. Dies führt zu einer subjektiven Veränderung des Wahrnehmens, des Gewahrwerdens (Missomelius 2006., S. 57). Die Gewöhnung im Umgang mit interaktiven Medien (Sozialen Netzwerken) beinhaltet aktive Teilnahme. Die Nutzer*innen nehmen sich nicht mehr als Beobachter*innen wahr, sie definieren sich als aktiv handelnde Personen. Die Nutzer*innen interagieren nicht nur mit dem Text und/oder den Bildern, sie schaffen ihren eigenen Erfahrungsraum. Jeder kann die ins Netz gestellten Daten kommentieren, womit eine dialogische Kommunikationskultur gefördert wird. Die User*innen und die Autor*innen treten ein in einen kollaborativen Raum, der die Konventionen der bisherigen Erzähldramaturgie sprengt. Die (bisherige) Konsument*in wird zur Mitproduzent*in, zur Prosument*in. Neue Formen von Beteiligung, Teilnahme, Mitwirkung und Mitbestimmung kristallisieren sich heraus. Facebook, Instagram, WhatsApp (SMS), Blogs, Twitter, Instant Messaging (IM), Podcasts und Wikis verkörpern eine neue Partizipationskultur, die nicht an reale Orte gebunden ist. Mit Handys, Smartphones und Tablets ist mobile Kommunikation möglich. Dies führt dazu, handlungsorientiertes, dialogisches Lernen zu favorisieren.
Rückkanäle eröffnen Austausch und Feedback, somit entsteht eine dialogische Kommunikationskultur und eine höhere Transparenz. Zudem wird ein selbstbestimmter und kritischer Umgang ermöglicht und damit gesellschaftliche Partizipation und soziale Kompetenz gefördert. Neue Formen des dezentralisierenden Dialogs eröffnen sich, neue individuelle und kollektive Kommunikationsformen bilden sich heraus.
Stimmungsbilder (Evaluationen) und/oder audiovisuelle Reflexionen über gesehene Filme können kommuniziert und ausgetauscht werden. Unterschiedliche Bedeutungszusammenhänge können erörtert werden. Verweise auf andere Filme oder Medien (Intertextualität) können helfen, im ersten Moment nicht erkennbare Kontexte zu erkennen. Hintergründe (z.B. zur Geschichte, den Produktionsbedingungen, Regisseur*in) können recherchiert werden. Dabei werden unterschiedliche, und keine universalen Lösungen, sondern unterschiedliche Pfade und Knoten kennengelernt. Ziele können durch vielfältige Zugänge erreicht werden. Durch das Recherchieren im Netz werden multiversale Lösungsstrategien erfahrbar gemacht.
Bezüge werden nicht nur über fachliche Kompetenz, sondern über gleiche Interessen und/oder Zugehörigkeiten zu Communitys hergestellt. Eine Film-Community kann helfen, sich mit dem Lernort Kino (der Faszination von Spielfilmen) auseinanderzusetzen und zugleich auch einen Beitrag zur Selbstfindung, zur sozialen Verankerung leisten. In Communitys geht es um die Erfahrung von subjektiv nachvollziehbarer Information, aber zugleich auch um die Suche nach Anerkennung, Gemeinschaftsgefühl, Geborgenheit, Geschmackskoalitionen, gegenseitiges Verständnis, Bereitschaft für Kooperation und Entlastung vor kognitiv-rationalen Anforderungen des Alltagslebens.
Die Medieninitiative MeshCollective zeigt, welche Möglichkeiten noch bestehen, ausgehend vom Medium Film, politische Bildung zu initiieren. Die Initiative hat inzwischen mehr als 300 Webvideos meist gemeinsam mit YouTuber*innen und anderen produziert. Ihr YouTube-Kanal hat 7.770 Abonnent*innen und mehr als 3,9 Mill. Aufrufe. Die Zielgruppe des veröffentlichten Bildungs-Contents sind Jugendliche. Intention der Initiative ist es, durch Nutzung der Sozialen Medien und des Mediums Film junge Menschen zur Teilhabe am gesellschaftspolitischen Leben zu ermächtigen und sie damit auch für politische Themen zu sensibilisieren. Verankert wird die Wissensvermittlung im Lebenskontext und mit Bezug zu den Sehgewohnheiten der Jugendlichen. In ihrem Portfolio stehen u.a. folgende Themen: Gegen Antisemitismus, Stoppt Kinderarmut, Generation Grenzenlos, Populismus-Demokratiebildung, Deine Würde-Demokratiebildung. Diese Projekte intendieren soziales Engagement, fördern zugleich gesellschaftliche Mitverantwortung und zeigen eine Perspektive für die Gestaltung von Medienkompetenzprojekten auf.
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Prof. Dr. Franz Josef Röll, Soziologe und Professor (em.) für Neue Medien und Medienpädagogik an der Hochschule Darmstadt