“Gegenüber euch bei der FSK ist eine Änderungsschneiderei gar nichts!” – Email eines Studenten
“Dass ihr ‘Der kleine Eisbär´’ ohne Altersbeschränkung freigegeben habt, kann ich nur bedingt verstehen. Ich hätte hier auf jeden Fall einige Schnittauflagen gemacht, die ich euch jetzt mal im einzelnen aufzählen möchte … !” – Brief eines Großvaters, der mit seinem 7-jährigen Enkel im Kino war.
Zwischen diesen beiden Extremen vollzieht sich die Diskussion um tatsächliche oder angebliche Schnittauflagen der FSK-Prüfausschüsse. Eindeutig ist zu sagen, dass die erstgenannte Meinung – insbesondere bei eifrigen Email-Schreibern – dominiert. Bei ihnen herrscht oftmals der Eindruck vor, die Ausschüsse der FSK würden jeden zweiten Film mit Schnittauflagen versehen, insbesondere wenn es sich um Action- und Horrorfilme handelt. In der Tat ist es so, dass gerade in diesen Genrebereichen unterschiedliche Fassungen eines Filmes existieren. Naheliegend ist es dann, die FSK anzurufen und sich darüber zu beschweren, dass wieder einmal übereifrige Jugendschützer die Schere angesetzt haben. Um es gleich vorweg zu sagen, die FSK ist in den meisten Fällen nicht der richtige Ansprechpartner – auch wenn dies auf den ersten Blick so aussehen mag.
Kinofilme
Gemäß der FSK-Grundsätze können die Prüfausschüsse Jugendfreigaben mit Auflagen aussprechen. Ein Spielfilm wird beispielsweise in seiner Gesamtwirkung vom Prüfungsausschuss so eingeschätzt, dass er durchaus ab 12 Jahren freigegeben werden könnte. Handlungsverlauf, Spannungsbogen und Höhepunkte sind so gestaltet, dass sie von 12-Jährigen ohne Beeinträchtigungen rezipiert werden können. Allerdings befinden sich zwei Szenen in diesem Film, die aus dem Gesamtkontext so herausragen, dass Kinder an diesen Szenen „hängen bleiben“ und nicht mehr in der Lage sind diese einzuordnen und zu verarbeiten. Hierbei kann es sich z.B. um besonders gewalthaltige Szenen handeln, die aufgrund ihrer Gestaltung Kinder schlichtweg überfordern und übermäßig belasten. In solchen Fällen kann der Ausschuss die Auflage aussprechen diese beiden Szenen zu entfernen. Es liegt dann am Antragsteller, ob er den Film in der geschnittenen Fassung ab 12 Jahren oder in der ungeschnittenen Fassung ab 16 Jahren einsetzen will.
Diese Entscheidung hängt weitgehend davon ab, welche Auswertungschancen sich die Firma für den Film errechnet. Die Ausschüsse der FSK haben hierbei zu prüfen, ob die Szenen, die gegen eine Freigabe ab 12 Jahren sprechen, eindeutig zu benennen sind und ob diese Auflagen den Film unter Jugendschutzgesichtspunkten tatsächlich wesentlich ändern. Ein Beispiel: Ein erhobenes Beil über dem Kopf eines filmischen Widersachers! Vor dem Niedersausen wird geschnitten. Der blutüberströmte Kopf wird dem Zuschauer erspart – auf der Leinwand! Vor dem geistigen Auge des Betrachters aber steht glasklar das blutige Ergebnis. Die emotionale Wirkung ist mit oder ohne Schnitt die gleiche. Konsequenz: Also bereits die Szene mit dem erhobenen Beil schneiden? Das heißt, man schneidet eine eventuell verkraftbare Szene und meint eigentlich die Folgeszene. Eine solche Entscheidung kann nur in der Gesamtbeurteilung des Filmes getroffen werden. Hier liegt die Crux bei Schnittauflagen zu deren Wirksamkeit zwei Meinungen existieren: Schnitte verändern einen Film in seiner Gesamtwirkung nicht! oder Jeder Film kann so geschnitten werden, dass seine Gesamtwirkung sich ändert! Beide Meinungen treffen zu – und auch wieder nicht. Wer weiß genau, welche Szenen für einen kindlichen oder jugendlichen Betrachter noch verkraftbar sind und welche nicht? Die Ausschüsse der FSK versuchen diese Frage mit großer Sorgfalt zu prüfen, aber letztlich objektiv richtige Entscheidungen gibt es nicht. Zu unterschiedlich sind die Rezeptionsbedingungen und –voraussetzungen von Kindern. Diese Überlegungen haben dazu geführt, dass seitens der FSK-Prüfausschüsse weitgehend auf Freigaben mit Auflagen verzichtet wird. Die möglich Wirkung einzelner Schnitte ist schwer einzuschätzen und viele Prüfer wollen auch nicht in ein filmisches Werk eingreifen, insbesondere natürlich wenn es sich um einen anspruchsvollen Film handelt. Diese Meinung wird nahezu auch in allen anderen europäischen Prüfinstitutionen vertreten. Eine Ausnahme bildet die British Board Of Filmclassfication (BBFC). Hier können auch Schnittauflagen für Filme, die ab 18 freigegeben werden, ausgesprochen werden.
Sind im Jahr 1989 noch 6,6 % der eingereichten Kinofilme von der FSK unter Schnittauflagen freigegeben worden, liegt die Anzahl dieser Spielfilme heute bei unter 1 %! Und hier sind wir an einem weiteren wichtigen Punkt! Die Meinung „Fast überall auf der Welt kann ich mir die Originalversionen anschauen, nur nicht in Deutschland!“ ist ein Mythos. Richtig war, dass eine Reihe von angesehenen Regisseuren vertraglich festlegte, dass Veränderungen der Originalfassung nur nach Rücksprache und entsprechender Genehmigung mit ihnen erlaubt waren. Realität ist, dass dies sich mittlerweile geändert hat, insbesondere durch die mannigfaltigen Verwertungsformen auf Video, DVD oder Fernsehen. Jede dieser Verwertungsformen hat ihre eigenen künstlerischen und kommerziellen Voraussetzungen. Während der Kinofilm in der Regel eine Länge von 90 bis 110 Minuten aufweist, hat es sich mittlerweile als erfolgreich und lukrativ erwiesen, sogenannte Director’s Cut-Fassungen auf DVD herauszubringen, die bisher unveröffentlichte Szenen des Films beinhalten. Eine solche Director’s Cut-Fassung muss natürlich nochmals auf ihre Freigabe hin geprüft werden und kann durchaus eine andere Kennzeichnung erhalten als die ursprüngliche Kinoversion. Auf der anderen Seite werden aus unterschiedlichen Gründen Kürzungen bei Filmen vorgenommen, um sie entsprechend medial weiter verwerten zu können. Noch ist es zur Zeit so, dass Hollywoodfilme fast ausschließlich zuerst in Großbritannien anlaufen und erst dann auf den Kontinent zur weiteren Verwertung kommen. Dies kann dazu führen, dass im übrigen Europa die Fassung eines Kinofilms läuft, der bereits durch die Prüfung der BBFC gegangen ist. Aber auch in den Vereinigten Staaten ist es keineswegs generell so, dass nur eine Fassung eines Kinofilmes landesweit ausgewertet wird. Gerade bei Filmen mit erotischen Inhalten können sich die Versionen eines solchen Filmes beispielsweise vom „bible belt“ gegenüber der Version, die in Kalifornien oder New York läuft, unterscheiden.
Videofilme
Während pro Jahr bei der FSK ca. 350 Kinospielfilme zur Prüfung eingereicht werden, waren es bei den Video- bzw. DVD-Spielfilmen im Jahre 2001 489. Hiervon waren 33 Filme gekürzte Fassungen mit dem Ziel eine Jugendfreigabe zu erhalten. Eine solche geänderte Fassung ist vor der Prüfung dem Ständigen Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden, der in der vorhergegangenen Prüfung Ausschussvorsitzender war, vorzulegen. Er muss hierüber entscheiden, ob es sich um eine wesentlich geänderte Fassung handelt. Hier ist nicht ausschlaggebend, ob er einer Jugendfreigabe zustimmen würde, sondern er muss prüfen, ob die durchgeführte Überarbeitung tatsächlich den Film in seiner Wirkung auf Jugendliche hin verändern kann. Wird diese Änderung anerkannt, so wird diese Fassung noch einmal dem Prüfungsausschuss vorgeführt. Belastend ist es, wenn eine Firma mehrmals geänderte Fassungen des gleichen Films zur Prüfung vorlegt, um eine günstigere Freigabe zu erreichen. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass auch die zweite oder dritte geänderte Fassung vom jeweiligen Ausschussvorsitzenden als wesentlich geändert anerkannt wird. Handelt es sich hierbei um Kürzungen von mehreren Minuten relevanter Szenen oder Sequenzen, so kann der Ausschussvorsitzende diese Genehmigung nicht verweigern. Eine andere Frage ist, ob die Gesamtwirkung des Filmes sich dann so geändert hat, dass tatsächlich auch eine Jugendfreigabe ausgesprochen werden kann. Ein solches Procedere belastet nicht nur die Prüfungsausschüsse, sondern führt auch dazu, dass mit der eventuell endlich erreichten Jugendfreigabe eine Fassung auf den Markt kommt, die mit der ursprünglichen Originalversion nicht mehr viel gemein hat. Aufgrund dessen ist es verbindlich, dass solche Fassungen mit einem Titelzusatz, wie zum Beispiel „gekürzte Fassung“ oder „bearbeitete Fassung“, versehen werden. Nur dann ist der Unterschied auch in der Öffentlichkeit ersichtlich und bei Kontrollen nachzuvollziehen. Diese gekürzten und mit einem Titelzusatz versehenen Filme dürfen dann mit einer eventuellen Freigabe ab 16 Jahren im Versandhandel angeboten oder im Fernsehen ab 22 Uhr gezeigt werden. Teilweise werden aber im Versandhandelsangebot diese unbedingt notwendigen Titelzusätze nicht erwähnt bzw. bei Ankündigung dieser Filme in Rundfunkzeitschriften nicht aufgeführt. Dies führt dazu, dass Versandhandelskunden oder Fernsehzuschauer bei der FSK anrufen und sich darüber beschweren, dass bestimmte Szenen des betreffenden Filmes fehlen. Solche Vorwürfe hat aber nicht die FSK zu verantworten, die lediglich die Jugendeignung einer bestimmten Version zu prüfen hat, sondern die antragstellenden Firmen, die aus kommerziellen Gründe eine Jugendfreigabe haben wollen. Nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Beschwerden von Zuschauern und Konsumenten hat sich die Wiedervorlage-Praxis geschnittener Fassungen erheblich reduziert. Diese reduzierte Quantität verhindert allerdings nicht die Verärgerung der Konsumenten im konkreten Einzelfall. Sicherlich ist es richtig zu sagen, die Prüfausschüsse der FSK haben die Jugendfreigabe eines bestimmten Filmes verweigert. Dies ist allerdings auch ihre Aufgabe, wenn dieser Film ihrer Auffassung nach Jugendliche beeinträchtigt. Dass dann eine geschnittene Fassung eingereicht wird und diese dann eventuell – weil sie nicht mehr jugendbeeinträchtigend ist – mit einer Jugendfreigabe versehen wird, auf den Markt kommt und dann zur Verärgerung bei den Konsumenten führt, liegt nicht in der Verantwortung der Prüfausschüsse.
Ausblick
Ich halte die Praxis, nur noch in sehr geringem Umfang Freigaben mit Schnittauflagen auszusprechen, für richtig. Es ist nicht einfach Schnitte genau zu definieren und es ist auch nicht grundsätzlich davon auszugehen, dass einige Schnitte einen Film in seiner Gesamtwirkung wesentlich ändern. Die Vorlage gekürzter Fassungen liegt in der Verantwortung der antragstellenden Firmen. Gerade durch die Entwicklung der DVD-Technik hat sich zwar die Erkenntnis durchgesetzt, dass es gerade auch für den anspruchsvollen erwachsenen Konsumenten gute Absatzchancen für Filme gibt, die mit der Kennzeichnung „nicht freigegeben unter 18 Jahren“ versehen sind. Allerdings haben sich die medialen Verwertungswege vervielfacht. Neben den Angeboten im Offline- und im Rundfunkbereich werden zukünftig Online-Angebote in unterschiedlicher Form hinzukommen. Auf der anderen Seite wird sich die Anzahl der Spielfilmproduktionen pro Jahr nicht wesentlich erhöhen. Dies bedeutet, dass in den unterschiedlichen Verwertungsbereichen der gleiche Inhalt geboten wird oder eben immer wieder unterschiedliche Versionen eines Filmes zielgruppen-adäquat oder besser gesagt marktorientiert angeboten werden. „Schnitte im Film“ wird also auch zukünftig ein Diskussionsthema bleiben.