Sehr geehrte Frau Thies, sehr geehrter Herr Thies, sehr geehrter Herr Nennmann,
Ihre öffentlichen kritischen Anmerkungen zur FSK geben uns Gelegenheit, kurz die Arbeit der FSK zu skizzieren sowie einige Punkte zu erläutern und gegebenenfalls auch klarzustellen.
Ihr Unbehagen richtet sich gegen sehr unterschiedliche Aspekte der heutigen Kinorealität:
- gegen die Machart einiger Filme,
- gegen die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Jugendschutzes,
- gegen Entscheidungen der FSK, die Sie für falsch halten
- sowie gegen sprachliche Formulierungen in den Freigabebegründungen, die die FSK auf ihrer Homepage und in der FSK App veröffentlicht.
Dass die Art Filme zu machen, die Erzählweisen, die ästhetischen und technischen Mittel, auch geschmackliche Grenzen sich ständig verändern, steht außer Frage. Dies zu bewerten, liegt nicht in der Zuständigkeit der FSK.
Die Aufgabe der FSK ist vom Gesetzgeber klar formuliert: „Filme, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, dürfen nicht für ihre Altersstufe freigegeben werden“ (§ 14 Abs. 1 Jugendschutzgesetz). Bei den gesetzlichen FSK-Freigaben handelt es sich ausdrücklich um eine Erlaubnis, nicht um eine Empfehlung – wie Ihre Ausführungen nahe legen.
Die FSK-Ausschüsse vollziehen aufgrund von Annahmen über die mögliche Wirkung eines Films auf Kinder und Jugendliche eine Art Risikoabschätzung. Da wird oft kontrovers diskutiert, am Schluss entscheidet die Mehrheit. Ein durchweg demokratisches Verfahren. Dass dabei gelegentlich einzelne Entscheidungen in der Öffentlichkeit oder, wie bei Ihnen, auch innerhalb der Branche in die Kritik kommen, liegt in der Natur der Sache. Dafür gibt es das Instrument der Appellation. Jeder kann über eine oberste Landesjugendbehörde die Überprüfung einer FSK-Freigabe anstoßen, auch wenn der Film schon im Kino läuft. So zum Beispiel geschehen bei Til Schweigers „Keinohrhasen“.
Sie fragen: “Fürchten sich die FSK-Verantwortlichen vor Konsequenzen, wenn sie Blockbustern (wie „Bond“) eine „16“ geben?“ Die Antwort lautet: Bei der FSK fürchtet sich niemand. Im Übrigen sind die „FSK-Verantwortlichen“ an den Freigabeentscheidungen gar nicht beteiligt. Die 285 ehrenamtlichen Prüferinnen und Prüfer aus der Mitte der Gesellschaft handeln nach bestem Wissen und Gewissen, unabhängig und völlig weisungsfrei.
Über die Frage, ob die bestehenden Altersstufen noch zeitgemäß seien, wird diskutiert, seitdem es sie gibt. Europaweit betrachtet existieren die unterschiedlichsten Kohortierungen. In Großbritannien beispielsweise gibt es 0, 12, 15, 18; in Frankreich 0, 12, 18; in Spanien 0, 7, 12, 16, 18; in Finnland 3, 7, 11, 13, 15, 18; in Belgien 0 und 16. In manchen Ländern handelt es sich um Altersempfehlungen, in anderen um Altersbeschränkungen. Also: Wären andere Altersstufen zeitgemäßer, etwa 7,9,11,15? Oder Zwischenstufen zu den bestehenden, etwa 10 und 14? Wer möchte diesen vielstimmigen Diskussionsprozess in der Branche moderieren? Und dies angesichts des Sachverhalts, dass die eigentliche Herausforderung für einen zeitgemäßen Jugendschutz darin liegt, der Konvergenz der Medien Rechnung zu tragen?
Zu bedenken ist ferner, dass jedwede aus Gründen des Jugendschutzes erteilte FSK Altersfreigabe – deren Kehrseite ja ein Verbot für junge Menschen unterhalb der jeweiligen Freigabegrenze bedeutet – einen gravierenden Eingriff in die Kunstfreiheit darstellt. Hier müssen zwei Rechtsgüter von Verfassungsrang sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
Nun halten manche Eltern eine FSK Freigabe in der Tat für eine Empfehlung, obwohl sie in Wahrheit – wie gesagt – die staatliche Erlaubnis zu einem Kinobesuch darstellt. Genau deswegen veröffentlicht die FSK seit einigen Jahren Freigabebegründungen. Auf sie wurde im Jahr 2015 via FSK App bzw. Homepage an die 800.000 Mal zugegriffen. Hier können sich Eltern rasch über Filme informieren. Wenn bei einer FSK-12-Entscheidung z.B. auf “einzelne drastische Gewaltdarstellungen“, „sexualisierte Gags“ und „vulgäre Sprache“ hingewiesen wird, erhalten sie Argumente an die Hand für – oder eben auch gegen einen Kinobesuch ihres Kindes. Das beantwortet übrigens auch die titelgebende Frage Ihres Briefes: „Wer schützt die Kinder vor der FSK?“ Ganz einfach: Die FSK selbst, weil sie ausführliche und jedermann zugängliche Informationen zur Begründung ihrer Entscheidungen mitliefert.
Selbstverständlich steht es den Branchenteilnehmern völlig frei, selbst Altersempfehlungen für den Kinobesuch herauszugeben – wie viele Kinderbuchverlage es tun; auch in der Filmpublizistik lassen sich Altersempfehlungen finden. Zu den Aufgaben der FSK gehört dies mit gutem Grund nicht.
Für „längst nicht mehr zeitgemäß“, d.h. für irgendwie altmodisch, halten Sie die Parental-Guidance-Regelung, die besagt, dass FSK 12er Filme in Begleitung eines Elternteils von Kindern ab sechs Jahren gesehen werden dürfen. Diese Regelung wurde neu, nämlich bei der letzten Novellierung im Jahre 2003, in das Jugendschutzgesetz aufgenommen. Mit ausdrücklicher Billigung der gesamten Filmwirtschaft, die das Thema im Vorfeld der Novelle intensiv diskutiert hat. Die meisten europäischen Länder haben mittlerweile ähnliche Regelungen. Man kann und sollte sie also eher als besonders zeitgemäß ansehen. Hier berücksichtigt ein moderner Staat das grundgesetzlich garantierte Erziehungsprivileg der Eltern. Wegen des Spannungsverhältnisses von primärem Elternrecht auf der einen und staatlichem Wächteramt auf der anderen Seite dürfte eine Ausweitung der PG-Regelung auf alle Freigabestufen sogar ein empfehlenswerter Weg sein, rät das Hans Bredow Institut in Hamburg.
Vor einigen Jahren haben wir von der GfK untersuchen lassen, wie oft die PG- Regelung in einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren eigentlich genutzt wurde. Ergebnis: Etwa zwei Prozent aller Kinobesuche von FSK 12er Filmen entfielen auf unter zwölfjährige Kinder. Diese Zahl zeigt, dass die PG-Regelung den staatlichen Jugendschutz nicht außer Kraft setzt, sondern Eltern die Regelung maßvoll nutzen.
In einer vom Internet geprägten Lebenswelt gelingt es gerade dem Kino mit guten Argumenten und hohem kreativen sowie technischen Aufwand seine Alleinstellungsmerkmale zu kräftigen und kommunikativ in die öffentliche Aufmerksamkeit zu bringen. Als einzigartigen Raum der gemeinsamen Filmrezeption, als Ausnahmeort vom Alltag. Gleichzeitig ist kein anderer öffentlicher Raum so durchgehend unter Jugendschutzaspekten reguliert wie das Kino.
Ihre drastisch formulierte Behauptung, dass „verlässlicher Jugendschutz“ im Kino der Vergangenheit angehöre, stellt diese Errungenschaften in Frage und könnte damit ausgerechnet dem Kino einen Bärendienst erweisen.
Auch deswegen muss tatsächlich gesprochen werden.
Die FSK selbst macht dies übrigens regelmäßig. Die Vorsitzenden in den Prüfausschüssen diskutieren in zahlreichen Veranstaltungen mit Schulklassen, Jugendgruppen und Hochschulseminaren, die die FSK besuchen – in 2015 waren es über 30 -, anhand von Beispielen die mögliche Wirkung von Filmen. In bislang vier aufwändigen Medienkompetenzprojekten (Filmsichtungen und Befragungen mit wissenschaftlicher Auswertung), an denen etwa 2.000 Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 17 Jahren beteiligt waren, trägt die FSK zur Wirkungsforschung bei und überprüft dabei kontinuierlich ihre Spruchpraxis.
Berlin/Wiesbaden, 18.04.2016
Alfred Holighaus Präsident SPIO e.V. |
Christiane von Wahlert Geschäftsführerin FSK GmbH |